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Medientage München 2023 - KI

Verantwortlicher Autor: Gerhard Bachleitner München, 04.11.2023, 21:09 Uhr
Presse-Ressort von: Dr. Gerhard Bachleitner Bericht 6577x gelesen
Eingang zum
Eingang zum "House of Communication"  Bild: Veranstalter

München [ENA] Daß die heurigen Medientage München unter das Thema Künstliche Intelligenz gestellt wurden, war gewiß keine Überraschung. Zu prominent hatte sich schon das ganze Jahr über die KI in Form generativer Bild- und Textgeneratoren in den Vordergrund gespielt.

So wurde unvermeidlich zu den vorhandenen Gipfeln ein neuer Gipfel eingeführt, der KI-Gipfel. Daß hierzulande die KI teilweise wieder als Angstgrund und als Angstgegner vorgestellt und hingestellt wird, ist ebenso abwegig wie die mittlerweile kursierenden Beschwichtigungsformeln, daß sich die Beschäftigten - will heißen: Ärzte, Juristen, Journalisten, Manager, Callcenteragenten u.ä. - durch den Wegfall automatisierbarer Routinearbeiten besser ihrer eigentlichen Aufgabe der Sorge für den Menschen und der wahren Kreativität widmen könnten. Das eine ist ebenso unrealistisch wie das andere.

Der Einsatz der KI wird die ökonomischen und sozialen Spannungen, Konflikte, Widersprüche, die bisher notdürftig ausbalanciert waren, wieder in Bewegung setzen und neue Ressourcenkriege entfachen. Derjenige auf globaler Ebene ist bereits im Gange, die in Arbeit befindliche KI-Richtlinie der EU, mit der - wieder einmal - eine Eindämmung von anderswo geleisteter Innovation versucht werden soll. Darauf spielten in erwartungsgemäß dezenter Manier u.a. auch die beiden Google-Repräsentanten in ihren Vorträgen an, Philipp Justus, Deutschland-Chef und Vizepräsident für Mitteleuropa, und Dr. Wieland Holfelder, Vizepräsident für Technik. Sie betonten die Notwendigkeit von Regulierung, mahnten aber auch die Offenheit für Innovationschancen an.

Justus versicherte, daß man KI-generierte Inhalte kennzeichnen müsse, und erwähnte, daß Google dafür mit den Inhalteanbietern zusammen gerade ein digitales Wasserzeichen entwickle. Holfelder winkte mit Wohlstandszuwachs und Arbeitsplatzneutralität. Es werde "keine negativen Beschäftigungseffekte" geben. Die von Google beauftragte Studie "Der digitale Faktor" des Instituts der deutschen Wirtschaft, Köln, hatte Wertschöpfungspotenziale in Höhe von 330 Milliarden Euro durch KI ermittelt, allerdings nur, wenn mehr als 50 Prozent der Unternehmen KI nutzen.

Solch plakative Aussagen müßten selbstverständlich genau unter die Lupe genommen werden, und die Studie liest sich auch wie eine einzige Apotheose Googles, der zu Folge man quasi nur noch dankbar sein kann, daß ein kalifornischer Weltkonzern hierzulande die Innovationskraft der einheimischen Wirtschaft zu stärken bereit ist. Einen wunderbaren Kontrapunkt setzte hierzu am Nachmittag Dr. Martin Andree, AMP Digital Ventures, mit seinem Vortrag (und gleichnamigen Buch) "Big Tech muss weg - Wie wir das Netz befreien".

Da waren die einschlägigen GAFA-Monopolisten indes eher in ihrer Rolle als Meinungsaggregatoren, denn als technische Innovatoren angeklagt. Andree sah die Freiheit der Medien bedroht, zumal die Meinungsvielfalt. 82% der Deutschen würden digitale Monopole ablehnen, doch mit entsprechenden regulatorischen Maßnahmen ließe sich diese Machtkonzentration wieder auflösen. Diese Studie mit ihrer ebenfalls plakativen Programmatik müßte freilich ebenso unter die Lupe genommen werden, wie die obige.

Auffälligerweise nutzen gewiß auch mindestens 82% der Deutschen die besagten Dienste und zwar offenkundig deshalb, weil es keine gleichwertigen Alternativen gibt. Daß es sie nicht gibt, ist den allseits bekannten Versäumnissen, Trägheiten und Regulationshemmnissen hierzulande und in EU-Europa geschuldet, für die jetzt die Quittung präsentiert wird. Daß der Markt nicht wartet und an der Börse zum Einsteigen nicht geklingelt wird, scheint in Vergessenheit geraten.

Immerhin konnten die Medientage einen leibhaftigen KI-Lokalmatador aufbieten, Prof. Dr. Björn Ommer, LMU München, der es geschafft hat, mit Stable Diffusion einen achtbaren Bildgenerator auf den Markt zu bringen. Er analysierte klug, mit historischer Tiefe und mit Blick auf die gesellschaftliche Dimension der "Transformation der medialen Kommunikation" - so sein Vortragstitel -, was vor sich geht und wohin jetzt zu gehen wäre. Die Furcht um den Ersatz von Arbeitsplätzen durch KI überwies er an die Arbeitsplatzgestalter, also die Arbeitgeber, zurück: ein Arbeitsplatz, der durch KI ersetzbar sei, habe wohl nicht genügend menschliche Qualifikation erfordert.

Offenbar nötigt KI dazu, 'Humankapital' und Humanisierung von Arbeitsplätzen neu zu denken. Ommer zeigte auch gerne vernachlässigte topologische Voraussetzungen medialer Kommunikation auf. Sozialer, als Nähe erfahrbarer Zusammenhalt sei nicht durch Medien (mit Inhalten aus beliebiger Ferne) ersetzbar. Vertrauen könne nur durch Nähe entstehen und nicht beliebig skaliert werden. M.a.W.: daß globalisierte Kommunikation nicht als per se vertrauenswürdig wahrgenommen wird, sollte nicht überraschen.

Innovation konkret

Der Rest des Gipfels, das, was man früher die Elefantenrunde nannte, hantierte gewissermaßen mit dem Kleingeld der Innovation: was tut man in den eigenen Institutionen für die Zukunft? In gewohntem Proporz - Privatsender, Öffentlich-Rechtlicher Sender, Verleger - sahen sich selbstverständlich alle auf der Höhe der Zeit. Prof. Dr. Kai Gniffke, ARD-Vorsitzender und SWR-Intendant, wollte auf keinen Fall "an der Zukunft sparen", Niddal Salah-Eldin, Vorstand Talent & Culture, Axel Springer, wo man sich ja bereits mit einer KI-Initiative aus dem Fenster gelehnt hatte, propagierte die "digital only"-Strategie ihres Hauses, nachdem "digital first" bereits überholt sei,

und nur Dr. Nina Gerhardt, RTL Radio Deutschland, wo man synthetische Stimmen zumindest im Offline-Angebot einsetzt, wollte auch noch einen Blick auf die Wirtschaftlichkeit und Akzeptanz der KI-Offensive geworfen haben. Irgend jemand unter den Organisatoren muß vor so viel dichter Information - voraus gingen ja noch die Grußworte des Veranstalters, BLM-Chefs Dr. Thorsten Schmiege, und des Landesherrn, Dr. Florian Herrmann in Vertretung des Ministerpräsidenten - und soviel natürlicher Intelligenz einen Schreck gekriegt haben, denn zur "Auflockerung" wurden allen Ernstes zum vermeintlichen Spaß Ernie und Bert aus der Sesamstraße auf die Bühne gebracht, KI also mit Kindliche Intelligenz übersetzt. Da war der Kindergarten tatsächlich erreicht.

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